Manchmal suche ich beim Schreiben in den eigenen vier Wänden vergeblich Inspiration. Obwohl ich mir Kerzen anzünde, klassische Musik anstelle und mich mit meinem neu erworbenen Notizbuch an den aufgeräumten Schreibtisch setze, habe ich einfach keine Idee. Die Seite bleibt unbefleckt und weiß.
In solchen Momenten gehe ich am liebsten mitten ins Leben hinein und schreibe dort, wo es sich abspielt. Mein liebster Ort dafür ist mein Lieblingscafe Maitre direkt bei uns in der Seitenstraße. Schon wenn ich die Türe öffne, den würzigen Kaffeeduft rieche, das Klappern der Löffel und Teller höre, das Murmeln der vielen Stimmen, bin ich in Schreiblaune. In dieser lebendigen Atmosphäre an einer Kurzgeschichte oder einem Sachartikel zu arbeiten, fällt mir eher schwer. Aber schreibend in diese Kaffeehauswelt einzutauchen und sie festzuhalten, ist eine wunderbare Aufgabe.
Und es geht viel einfacher, als Du denkst. Die verwendete Methode ist das „Notieren“, eine Art Festhalten des Gesehenen und Gehörten mit Worten, als würde man es Zeichnen oder mit einem Foto oder einer Kamera aufnehmen.
Das Auge fährt den Raum ab, fängt das Licht auf, die Gegenstände, die Ursache von Geräuschen und ebenso die Menschen, und hält die Eindrücke in kurzen Worten fest. Den Gesichtsausdruck, die Bewegungen, das Rühren mit dem Löffel in der Kaffeetasse, die malmenden Zähne, das tief ausgeschnittene Dekolté und den türkisgetigerten Schal, den sich die Dame am Nebentisch um den Kopf gewickelt hat. Ihr goldener ovaler Ohrring, an dem sie sich zupft, während sie den ihr gegenüberliegenden Mann anlächelt, mit rot geschminkten Lippen.
Du kannst auch (unauffällig) die Worte festhalten, die Du vom Gespräch auffängst, dem Dialog und Thema zu folgen versuchen, so Du es verstehst. Als neutrale Beobachterin, die das Gehörte notiert, als Momentaufnahme von Kaffeehausbesuchern, die unwillentlich Einblick geben in ihr Leben und Denken.
Diese Art des Schreibens als ‚Notieren‘, ohne sich selbst und die eigenen Eindrücke dabei zu erwähnen, wirkt wie eine Meditation – da es die Wahrnehmung des Aussens schärft. Wir verlieren uns zunächst scheinbar in der reinen Beobachtung, um dadurch so viel tiefer bei uns selber anzukommen
Idee und Inspiration: Hanns-Josef Ortheil, Schreiben dicht am Leben, Kapitel 2: Notieren als Webcam, S. 26